Die Stralsunder Fährstrasse verbindet den Alten Markt mit dem Hafen und den Fähren. Im unteren Abschnitt, an der Ecke Wasserstrasse im Haus Nummer 17 wird die älteste Hafenkneipe der Stadt und eine der ältesten Kneipen Europas bis heute betrieben.
Schank- und Braugerechtigkeit – heute Schankgenehmigung – wurden schon im Mittelalter nur auf Antrag gewährt und zur Besteuerung genau verzeichnet. In eben diesem Zusammenhang findet die heutige Hafenkneipe „Zur Fähre“ im Jahre 1332 erstmals Erwähnung im zweiten Stralsunder Stadtbuch. Das Schankrecht wurde der „taberne apud passagium“ eingeräumt.
Kneipengeschichten mit Kneipengeschichte
Diese Büchlein hat natürlich seine Geschichte. Angeregt von Hanni Höpner, aufgegriffen und Claude Lebus und Steffen Melle entstand die Publikation 2018/2019. Die Recherche im Archiv und in der Fähre übernahm Steffen Melle, der außerdem die Stralsunder und Kneipengeschichte studierte.
In Zusammenhang mit dem Bau des Fährtores wurde das Haus, heute Fährstraße 17, errichtet.
Eine gemeinsame Wand mit der Stadtmauer und die Reste eines Ofens darin sind aussagekräftige Indizien.
Das 1278 errichtete Fährtor präsentierte dem Ankömmling aus Richtung Hafen als einziges der Stralsunder Stadttore die Traufe (Regenrinne) statt des Giebels. Die aufwendigen, mittelalterlichen Schmuckgiebel waren seitlich aufgerichtet.
Alle Stadttore wurden mit Sonnenuntergang geschlossen. Verspätet Ankommende und die vor den Toren lebenden Menschen besuchten bevorzugt die Tavernen der Hafengegend.
Die Lage der Hafenkneipe – heute „Zur Fähre“ – unmittelbar vor dem Tor und in der Verlängerung der Landungsbrücken war ein Standortvorteil – das Bemühen um Schankrecht daher folgerichtig. Als weiterer Geschäftsvorteil kann später die damalige Nähe zu einer Vielzahl von „Hurenhäuser“ in der stadtseitig vom Fährtor liegenden Mauerstrasse gelten.
Sauberes Wasser war besonders in Stralsund eine Rarität. Das Getränk der Wahl war das wohl preiswerte Bier. Es kam aus Häusern mit Braugerechtigkeit und eigenem Brunnen. Das Bier wurde andernorts lange Zeit mit verstärkenden Zutaten versehen. Zu den gefährlichen gehörte wohl das Bilsenkraut. In Stralsund wurde schon im Mittelalter Hopfen zur Würze verwendet.
Zum Sortiment der Tavernen der Hafengegend gehörten auch hochprozentiger Selbstgebrannter und verschiedene Biersorten – zugeschnitten auf Bedürfnis und Geldbeutel der Handwerker, Händler und Schiffer vor den Toren der Hansestadt.
Vor den Toren der Stadt siedelten „brandgefährliche“ Gewerbe. An den Landungsstegen wurde Teer gekocht und Fisch geräuchert. So wurde das Risiko eines Stadtbrandes verringert.
Das Haus Nummer 17 scheint einen Schutzengel zu haben. Keiner der großen Stadtbrände, keines der über 80 Hochwasser und auch keine Beschießung und Belagerung gefährdeten seinen Bestand.
Während der Hansezeit muss an dem wohl wichtigsten Seetor reger Betrieb geherrscht haben. Tagelöhner, Seeleute, Patrizier – das ganze bunte, mittelalterliche Treiben – passierten den sundseitigen Haupteingang zur Stadt. Neben einfachen Menschen passierten der reiche Bürgermeister Bertram Wulflam, der Schwedenkönig Gustaf Adolf, General von Löwen und Stadtverteidiger Lambert Steinwich mehrfach Taverne und Tor.
Sicher auch der spätere Apotheker, Chemiker und Sauerstoffentdecker Carl Wilhelm Scheele. Claus Störtebeker, Gödeke Michael, Caspar David Friedrich, Ernst Moritz Arndt u. a. haben keine Spuren in den Archiven hinterlassen.
Welcher der illustren Herrschaften in die Schenke einkehrten, was und wie viel sie verzehrten, ist nicht belegt. Sicher ist, dass einige Fass Bier in den Magen der Passanten stadteinwärts und hafenabwärts schaukelten.
Im Laufe der Geschichte erlebte die Kneipe durch Besitzerwechsel auch einmal eine andere Nutzung. Der erste Wirt könnte Johannes Crogere gewesen sein. Im 17. Jahrhundert betrieben z.B. Claus Möller und die Kniephoffs als Krüger das Wirtshaus. In den schwedischen Matrikeln – präzise Aufnahmen von Häusern und Grundstücke als Besteuerungsgrundlage vom Anfang des 18. Jahrhunderts – wird Schipfer (Schiffer) Hans König als Eigentümer genannt. Auch Segelmacher waren hier zu Hause. 1791 kaufte der Gewürzhändler Daniel Friedrich Paepke das Haus für 1200 Reichstaler. 5000 Reichstaler zahlten 1847 und 1851 zwei weitere Kaufleute. Schiffsmakler Carl Hodorff musste 1863 tiefer in die Tasche greifen und 7500 Reichstaler auf den Tisch legen. Er belebte wieder den Ausschank geistiger Getränke.
Nach Hodorff waren die Eigentümer wieder alle Gastwirt. Bis 1946 agierten Carl und Alwine Glawe und deren Sohn Otto im Haus; 1946 – 60 Albert Milatz; 1960 – 82 Sohn Werner Milatz; 1982 – 99 Dieter Dettmann und seit 1999 Hanni Höpner.
Oft stritten sich die Wirte heftig mit der Obrigkeit. Hier verfügt das Archiv über umfangreiche Akten. umfangreiche Akten. Kellner Ernst Müller ersuchte 1882 den hohen Rat, hier eine Schankwirtschaft betreiben zu dürfen. Die Polizeidirektion fegte den Antrag mit der Begründung, es gäbe in der Nähe schon genug derartige Kleinhandelsstätten, vom Tisch, Gastwirt Breitsprecher erging es 1883 ebenso. Er wollte Restauration und Logis eröffnen. Erst die späteren Antragsteller hatten Glück. Ihnen erteilte der städtische Ausschuss – gegen die Ansicht des Rates – die nötigen Genehmigungen.
Ein oft gesehener Nachbar war der Tor- später Stadtwächter. Er besuchte das Gasthaus wegen Verletzung der Polizeistunde. Ob er dies ausschließlich amtlich oder durstig unternahm, kann nur vermutet werden.
Die Überschreitung der Polizeistunde ließ 1904 die Staatsanwaltschaft gegen Gastwirt Carl Glawe vorgehen. Das Königliche Amtsgericht sprach ihn – in oberster Instanz – frei.
Lange Jahre war das Gasthaus fast ausschließlich Stammgästen vorbehalten. Für Laufkundschaft und Touristen blieb es „terra incognito“. Besonders die Gastwirte Milatz und Dettman legten großen Wert auf familiäres, gediegenes Klima. Nach Pommerschen Brauch blieb man unter sich.
Die Sperrkordel („Urlaubertampen“) wurde vor die Innentür gelegt und Nichtstammgäste mussten sich eine andere Kneipe suchen.
So verkehrten Stralsunder Originale wie der legendäre Segelmacher aus der Langenstrasse Julius „Jule“ Guldbrand hier. Stammgäste nutzen über Jahrzehnte kaum andere Wirtschaften. Silvie und Achim Zipperling feierten 2004 das dreißigjährige Stammgastjubiläum.
Mit Übernahme des Gasthauses „Zur Fähre“ von den Dettmanns begann Hanni Höpner sowohl wirtschaftlich als auch baulich eine Politik der Öffnung. Die Sperrkordel blieb ungenutzt als Relikt erhalten. Das mittelalterliche Fachwerk der Innenwand wurde freigelegt. Gäste aus der Region und aus aller Herren Länder waren und sind höchst willkommen.
Isländer, Russen, Südamerikaner u. a. werden längst nicht mehr bestaunt. Das besondere Flair der Hafenkneipe saugt sie einfach auf.